19 Apr E-Rechnung in Italien: Joachim Bleckmann, COO bei Archiva im Interview mit ECMguide.de Documents in Business
Seit vier Jahren ist Archiva, ein aus Italien stammender Lösungsanbieter für dokumentenbasierende Geschäftsprozesse und Rechnungsverarbeitung, in Deutschland aktiv. Da in Italien elektronische Rechnungen bereits Pflicht sind, kann General Manager Joachim Bleckmann im Interview mit ECMguide.de unter anderem aufzeigen, welche Lehren daraus für Deutschland gezogen werden können.
Seit dem 1. Januar 2019 sind in Italien ausnahmslos alle Rechnungen, sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich über das Austauschsystem Sistema die Interscambio (SDI) zu versenden, das heißt sie müssen elektronisch erstellt, signiert und übertragen werden. Wie schwer war es, dies in der Praxis zu realisieren?
Bleckmann: Es handelte sich hierbei vor allem um eine kulturelle Herausforderung: Die Umsetzung der Digitalisierung in einer Welt, die typischerweise auf Papier basiert, war viel schwieriger, als der Umgang mit XML-Formaten und Webservice-Verbindungen. Im Nachhinein kann man sagen, dass ein großer Teil der Herausforderung darin bestand, die richtige Planung für die Implementierung des neuen Prozesses aufzusetzen. Ein großer Teil der italienischen Unternehmen hatte zudem -zumindest zunächst- eine Prolongation der Umsetzungsfrist erwartet und sich dementsprechend damit Zeit gelassen.
Wie schwer fiel es den Unternehmen, sich auf diese Methode einzulassen?
Bleckmann: Auf den ersten Blick bedeutet die elektronische Rechnungsstellung, dass nur der letzte Teil des Prozesses der Debitorenbuchhaltung geändert wird, so dass die meisten Probleme auf einen zu knappen Zeitplan für die entsprechende Beauftragung von IT-Beratern zurückzuführen waren. Die größere Herausforderung bestand eigentlich auf der Seite der Kreditorenbuchhaltung. Das bedeutet, dass hier ein komplett neuer digitaler Kanal zur Buchung von Rechnungen im ERP geschaffen wurde, wo Unternehmen zuvor Papier- und Dateneingabeprozesse hatten. Ein Kommentar, den wir oftmals von Mitarbeitern hören, die bereits mit digitalen Kreditoren-Rechnungen arbeiten, ist: »Wie haben wir es nur früher mit Papierdokumenten ausgehalten?«
Was passiert, wenn sich Unternehmen in Italien nicht an die vorgeschriebene Vorgehensweise halten?
Bleckmann: Nun ja, das bedeutet letztlich, keine fiskalisch validen Unterlagen im Unternehmen zu haben mit all den hinlänglich bekannten Auswirkungen. Der Austausch von Dokumenten über SDI ist obligatorisch, so dass es eigentlich keine Wahl beziehungsweise Alternative gibt.
Was bedeutet dieses Verfahren für deutsche Unternehmen, die mit italienischen Unternehmen und Organisationen Geschäfte machen?
Bleckmann: Zunächst einmal nichts, denn die Verpflichtung besteht nur darin, dass italienische Lieferanten elektronische Rechnungen an italienische Kunden senden. Andererseits ist ein deutsches Mutterhaus mit einem italienischen Tochterunternehmen natürlich in der Verantwortung, dort für eine reibungslose und vor allen Dingen den Regularien entsprechende Abwicklung zu sorgen.
Welche Konsequenzen ergeben sich in Italien aus dem elektronischen Rechnungsaustausch?
Bleckmann: Ziel der EU-Kommission ist es, die elektronische Rechnungsstellung ab 2020 zur flächendeckenden Abrechnungsmethode in der EU zu machen. Man erwartet geschätzte 60 Milliarden Euro Kosteneinsparungen auf Jahresbasis (Quelle: SEPA potenzielle Vorteile auf dem Spiel, Capgemini). In Italien wird der Nutzen der strukturierten elektronischen Rechnungsstellung auf 5,50 bis 8,20 Euro pro Rechnung geschätzt (Observatorium für die elektronische Rechnungsstellung des Politecnico di Milano).
Inwiefern können deutsche Behörden und deutsche Unternehmen hier von Italien lernen?
Bleckmann: Die elektronische Rechnungsstellung bewegt sich inmitten technologischer, IT- und steuerrechtlicher Vorschriften. Selbst für uns als Experten für diesen Prozess – da es eines unserer Hauptgeschäftsfelder ist- war es in einigen Fällen durchaus schwierig, zwischen technischen Vorschriften und steuerlichen Auslegungen zu unterscheiden. Unsere Erfahrungen aus über 1.000 aktivierten Kundenprojekten können nun relativ leicht nach Deutschland übertragen werden. Darf ich sagen, dass wir mittlerweile wahrscheinlich jedwede Spielart und Konstellation in diesem Umfeld kennen?
Wie profitieren die deutschen Kunden von Archiva von ihren Erfahrungen und dem Know-how aus italienischen Projekten?
Bleckmann: Eigentlich und im Wesentlichen aufgrund unserer Erfahrung aus den vielen realisierten Projekten, die von unserem mittlerweile über 60-köpfigen Entwicklerteam in Zusammenarbeit mit unseren Consulting-Mitarbeitern produktiv gesetzt wurden. Wir haben – vor allem in Zeiten nach dem 01.01.2019 – darüber hinaus auch Projekte übernommen, in denen es seitens unserer Marktbegleiter anscheinend nicht gelungen ist, diese produktiv zu schalten. Selbstredend, dass diese heute bei Archiva produktiv laufen.
Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis sich der elektronische Rechnungsaustausch auch hierzulande stärker etabliert?
Bleckmann: Das ist eine schwierige Frage, hängt diese einerseits zusammen mit Bürokratie, Langwierigkeit, Langsamkeit und Ordnungsliebe in der EU und in Deutschland. Aber, die Richtlinie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen tritt am 18. April 2019 in Kraft. Das bedeutet konkret, dass alle öffentlichen Verwaltungsstellen innerhalb der Europäischen Union ab diesem Datum in der Lage sein müssen, Rechnungen von ihren Auftragnehmern im elektronischen Format gemäß den vom CEN anerkannten europäischen Standards entgegenzunehmen. Also, der Startschuss ist bereits gefallen.
Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf?
Bleckmann: Eigentlich darin, dass die Unternehmen lernen müssen, die Vorteile von Digitalisierung und von elektronischen Prozessen selbst aufzugreifen und umzusetzen. Die italienische Erfahrung hat uns gelehrt, dass erst die Regulierungspflicht ein Instrument war, um eine so große Veränderung durchzusetzen. Die Kosten des Verwaltungsbereichs sind im Vergleich zu anderen Ausgaben eines Unternehmens zu gering, so dass es höchst fraglich ist, dass solche Investitionen von den Unternehmen freiwillig getätigt werden. Die hier auferlegte Verpflichtung hat diese Veränderung erst ermöglicht.
Wenn in Deutschland ein ähnliches System wie in Italien kommt, sind dann alle Unternehmen, die eine Lösung für den elektronischen Rechnungsaustausch haben, schon gut vorbereitet oder gibt es hier besser und schlechter geeignete Lösungen?
Bleckmann: Die Frage erinnert mich ein bisschen an -beispielsweise- die Jahr 2000-Thematik oder die Konvertierung DM/Euro: Allen Marktteilnehmern seit langem bekannt, kamen die »Stichtage« dann doch »plötzlich und überraschend«. Natürlich hatten damals die Unternehmen, die sich diesen IT- und organisatorischen Herausforderungen rechtzeitig und vorausschauend gewidmet hatten, die »Nase im Wind«. So ähnlich war und ist es auch zum Thema der elektronischen Rechnung in Italien. Noch gestern und heute erreichen uns Anfragen von Unternehmen jeder Größe, die sich erst jetzt(!) dem Thema widmen. Unter den ursprünglich für Italien im Raume stehenden Strafen für die nicht rechtzeitige Einführung der elektronischen Rechnungen, wäre dies ein teurer Spaß für die Nachzügler. In Italien wurde (nachträglich und momentan) zunächst auf die Bestrafung verzichtet. Ob dies gegebenenfalls in Deutschland auch so sein wird, möchte ich bezweifeln. Daher gilt: Das Thema elektronische Rechnung kommt…in Deutschland und in Europa. Hier ist es keine Fragen ob, sondern wann. Und darauf sollte sich jedes Unternehmen schon hier und heute vorbereiten.
Weiterführende Links
Joachim Bleckmann ist COO bei Archiva
Studie zur Rechnungseingangsbearbeitung von B&L
Mehr Artikel und Informationen zum Thema Post- und Rechnungseingangsbearbeitung auf ECMguide.de:
https://www.ecmguide.de/input-output/postbearbeitung/